Auf dem Baumwipfelpfad
Während man in Deutschland an allen Ecken und Enden liest „Hier war Goethe“, können wir das bei unserem heutigen Ausflugsziel getrost ausschließen. Wo wir diesmal waren, war der olle Dichterfürst mit Sicherheit nicht. Und so ward aus dem Wanderpal der Dichterpal und es heißt: Über allen Wipfeln ist Lärm, in allen Wipfeln findest Du, kaum deine Ruh; die Touristen lärmen im Walde. Warte nur! Balde lärmest du auch.
Nach den wieder mal erfolglosen Anstrengungen in der Niederen Tatra sollte unser Tagesausflug mal etwas weniger laufintensiv werden. Also haben wir unsere mittlerweile bewährte Liste möglicher Aktivitäten gezückt und uns für einen Baumwipfelpfad entschieden. So etwas kennen wir schon aus Deutschland und meine kurze Recherche zeigte dann auch, dass die Pfade in Deutschland und der Slowakei vom selben Unternehmen betrieben werden.
Die Attraktion scheint noch ziemlich neu zu sein. Bei unserem letzten Urlaub hier vor vier Jahren gab es das Ding noch nicht. Einem Flyer und riesigen Werbetafeln, die hier alle Nase lang am Straßenrand stehen, entnehmen wir, dass der Pfad über eine Seilbahn oder alternativ auch mit einem kleinen Spaziergang zu erreichen ist. Weil wir allesamt das Gefühl haben, schon genug Geld in die hiesige Seilbahnwirtschaft investiert zu haben, entscheiden wir uns für den Spaziergang.
Vom kleinen Örtchen Jezersko sollen es nur knapp anderthalb Kilometer zu laufen sein. Ein Kinderspiel, dachten wir. Während ich dann hinterm Lenkrad saß und auf Anjas Anweisung „immer weiter geradeaus, dann müsste ein Parkplatz kommen“, asphaltierte Straßen längst verlassen hatte und stattdessen über eine puckelige Schotterpiste rollte, schwante mir schon nichts Gutes. Denn um uns herum erhoben sich Berge und Hügel. Und wenn schon eine Seilbahn zum Baumwipfelpfad fährt, liegt der sicher nicht im Tal.
Wie es fast nicht anders zu erwarten war, wurde aus dem kleinen Spaziergang dann ein ziemlich knackiger Anstieg über eine Skipiste. Solche Pisten sind sicher ganz prima, um im Winter auf Skiern darauf herumzukurven. Als Wanderweg sind sie eine Vollkatastrophe. In kleinen Schritten und mit fast kaum hörbaren Flüchen und Verwünschungen seitens Lurchi haben wir uns bergan gekämpft. Die Erfahrung zeigt: Jeder Anstieg ist irgendwann zu Ende und so standen wir eine gute halbe Stunde vor dem Eingang zum Baumwipfelpfad.
Während wir auf unserem Weg über die Skipiste keiner Menschenseele begegnet sind, ist hier oben die Hölle los. Und das obwohl die eigentlich versprochene Seilbahn noch gar nicht in Betrieb ist. Das Seil hängt zwar schon, an der Bergstation wird aber noch fleißig gearbeitet. „Neu ab 2018“ entnehmen wir einem Schild, fragen uns aber als angehende Bausachverständige, wie das wohl noch funktionieren soll. Für den Moment ist es egal und vielleicht sorgt die nicht fahrende Seilbahn auch dafür, dass es hier nicht noch voller als ohnehin schon ist. Wie an jedem Ausflugsziel herrscht auch hier wilder Trubel und überall lärmen die Touristen.
An der Kasse haben wir Glück und müssen gar nicht lange anstehen, da haben wir in diesem Urlaub schon deutlich länger gewartet. Über bequeme Stege geht es dann in luftiger Höhe durch die Landschaft. Tatsächlich macht der Pfad seinem Name alle Ehre, denn wir laufen zwischen den Wipfeln der Bäume. Das haben wir in Deutschland schon anders – und damit auch ein bisschen interessanter erlebt. Trotzdem ist es schön, so hoch über dem Boden durch den Wald zu spazieren. Und wenn man mal stehen bleibt, spürt man auch, wie das ganze Gebilde in sich vibriert und wackelt. Gibt es in der Slowakei eigentlich sowas wie den TÜV?
Wir vertrauen auf die Ingenieure und ziehen unseres Weges hin zum Highlight des Pfades. Über nicht enden wollende Kurven erreichen wir eine Aussichtsplattform in über 30 Metern Höhe. Witziger Weise entspricht das ziemlich genau der Machart des Baumwipfelpfades, den Anja und ich einmal in Bad Wildbad im Schwarzwald besucht haben. Man hat eine 360°-Aussicht auf Bäume und Landschaft der Umgebung. Theoretisch hätte man auch einen super Blick auf die Hohe Tatra, die hüllt sich aber leider wieder einmal in Wolken.
Für Unterhaltung ist trotzdem gesorgt, denn im Inneren des Turmes ist ein massives Netz gespannt, das von mutigen Touristen betreten werden kann. Unter dem Netz: 30 Meter Abgrund. Karo überwindet Ihre Höhenangst und arbeitet sich in kleinen Schritten zur Mitte des Netzes vor. Nachdem ich die Lage erkundet und alles für sicher befunden habe, folgt auch Anja und wir schießen ein paar Fotos auf dem Netz. Dann sitzen wir noch für eine ganze Weile am Rand des Netzes, wie am Beckenrand im Schwimmbad und beobachten andere Menschen dabei, wie sie sich mehr oder weniger souverän auf das Netz wagen. Kurz bin ich ein bisschen neidisch auf einen Südafrikaner, der von irgendwo her einen Becher Bier mit hoch gebracht hat und jetzt ganz entspannt auf dem Netz ein Bierchen trinkt.
Weil alle schönen Dinge irgendwann zu Ende gehen müssen, machen wir uns irgendwann wieder auf den Abstieg. Wir versuchen noch einen der seltenen Virtual-Caches zu lösen, der hier oben platziert ist, können die slowakische Beschreibung aber nur in Kauderwelsch übersetzen und sammeln deshalb vorsorglich mal alle erdenklichen Informationen ein, die man später zum Lösen des Caches brauchen könnte. Auf dem Weg die lieb gewonnen Skipiste wieder herunter, kommen uns zwei Damen entgegen, die uns auf slowakisch anquatschen. Unser typisches „ääh, german or english?“ beantworten sie mit einem „dann gerne deutsch“ und fragen uns fast akzentfrei, wie weit es noch ist und ob sich der Aufstieg lohnt. Weit ist es nicht mehr und lohnenswert ist der Besuch des Baumwipfelpfades durchaus. Also mobilisieren die Damen ihre Kraftreserven und stapfen weiter tapfer bergauf.
Zurück in Kezmarok besuchen wir dann noch die Burg, die unserem Haus direkt gegenüber liegt. Nachdem wir jetzt zwei Wochen quasi immer vor dem Tor standen, mussten wir irgendwann auch mal rein. Zur Belohnung machen wir dann noch einen kleinen Stadtbummel und laden uns selbst zu einem Eisbecher ein. Die eigentlich als Erdbeerbecher ausgewiesene Kreation bestand aus verschiedenen Sorten, von denen wir Melone, saurer Apfel und Heidelbeer erkannt zu haben glauben.
Am frühen Abend erledigen wir dann noch unseren obligatorischen Einkauf im Tesco und besorgen alles für unsere für morgen geplante Bergwanderung. Es geht auf den Rysy, den mit 2.499 Metern Höhe höchsten Berg Polens und einen Berg, mit dem Anja und ich noch eine Rechnung offen haben.
HA! Noch vor Karl! Wie immer gelungene Berichterstattung mit tollen Bildeindrücken (die Türen kommen mir sooo bekannt vor :D)
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Tapfer, tapfer. Das Netz ist der Hammer. 👍
Das hätten wir wohl auch mal probiert.
Wir müssen mit euch mal in den Hainich. Da ist auch ein schöner Baumkronenpfad incl. Kletterspaß. 😉
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Nicht nur Goethe war noch nicht da, ich war auch noch nicht da. Wie man sieht, macht der technische Wanderfortschritt auch vor der Slowakei nicht Halt. Scheint mir aber mal ein naturfreundlicher Eingriff in den Wald zu sein, und endlich mal ein lurchitauglicher Waldweg.
Wie soll ich denn zeitnah einen Kommentar abgeben, wenn die Wanderpals einfach zum Abendessen kommen und wir alles tun müssen, um die zufrieden zu stellen?
Nää, wor schöner, dat die do woren.
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War sehr sehr lecker!
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Viel Erfolg beim Gipfelsturm…
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