Über den Brocken

Nach all dem Regen gestern brachte der Blick aus dem Fenster heute morgen eine kleine Erleichterung: Es regnet nicht. Spoiler: Das blieb natürlich nicht den ganzen Tag so. Mit dem Bus sind wir zunächst mal von Braunlage wieder hoch nach Torfhaus gefahren, um unseren Weg auf dem Harzer-Hexen-Stieg fortzusetzen.

Bevor es aber richtig los ging, haben wir noch einen kleinen Abstecher zum „Besucherzentrum Nationalpark Harz“ gemacht. Die dort feilgebotenen Souvenirs waren aber alle derart häßlich und nutzlos, dass sogar wir nichts gekauft haben. Dafür gab es einen ersten Blick auf den Brocken. Das Gipfel-Plateau war so gerade noch zu sehen, bevor es kurz danach hinter Wolken verschwandt. Könnte eng werden mit Aussicht heute.

Der Weg führt dann zunächst mal durch ein sehr hübsch anzuschauendes Hochmoor. Daher auch der Name Torfhaus. In Zeiten, als die Holzkohle immer knapper wurde, sollte Torf ersatzweise zur Energiegewinnung genutzt werden. Das hat offensichtlich nur so mittelgut geklappt und deswegen konnten wir jetzt das größte Torfmoor im Harz bestaunen. Vermutlich wäre es sinnvoller gewesen, den Torf zur Whisky-Produktion heranzuziehen.

Der Harzer-Hexer-Stieg verläuft von Torfhaus zum Brocken auf dem Goetheweg. Ich würde gerne einmal wissen, wie viele Goethewege es so in Deutschland gibt. Seit heute kenne ich mindestens drei. Der im Harz heißt deswegen so, weil der gute alte Wolfgang im Jahre 1777 von Torfhaus aus die erste Winterbesteigung des Brockens gewagt hat und dabei ungefähr die Route des heutigen Weges genommen hat.

Auf dem Quitschenberg gab es dann die Auflösung für ein Phänomen, das uns gestern schon aufgefallen ist. Hier in der Gegend stehen, bzw. liegen sehr viele abgestorbene Fichten. Wir haben uns gefragt, warum das wohl so ist. Eine Krankheit? Radioaktiver Niederschlag? Fanatische Fichtenhasser, die unschuldige Bäume vergiften? Nichts dergleichen. Schuld ist der Borkenkäfer. Der hat hier viele alte Bäume befallen. Und weil im Nationalpark Harz nach dem Motto „Natur natur sein lassen“ verfahren wird, wird das Totholz nicht herausgeholt. Es dient vielmehr als Grundlage für nachwachsende Jungbäume. Der Fachmann spricht in diesem Zusammenhang von natürlicher Waldverjüngung.

An einer eigentlich ziemlich unscheinbaren Stelle im Wald gab es dann den nächsten Stempel für die Harzer Wandernadel. So unscheinbar, so geschichtsträchtig ist der Ort. Wir stehen mitten auf der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Wo man heute gar nicht mehr merkt, dass man von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt spaziert, regierte bis vor gar nicht all zu langer Zeit noch der Stacheldraht. Wir wollten eigentlich ein romantisches, grenzübergreifendes Foto machen. Anja auf der einen Seite, ich auf der anderen Seite. Wir haben bloß den blöden Grenzstein nicht gefunden. Die deutsch-deutsche Teilung ist hier offenbar endgültig überwunden. Später haben wir gelesen, dass das ganze Zeug mittlerweile im Museum in Torfhaus steht.

Jetzt lag er vor uns, der Brocken. Symbol der deutschen Teilung, militärische Sperrzone über Jahrzehnte, Heimat der Spione, Sehnsuchtsort für viele Menschen in der DDR. Ich habe überlegt, wie weit ich hier ausholen soll, bin aber zu dem Schluss gekommen, es bei einem kurzen Satz zur Geschichte zu belassen. Trotzdem empfehle ich jedem sich ein bisschen zu dem Thema schlau zu machen. Wir sollten uns unsere Geschichte überhaupt viel öfter bewusst machen. Und darüber sprechen. Dann ist so ein Unsinn wie die AfD nämlich ebenfalls bald Geschichte.

Auf dem Kolonnenweg beginnt unser Anstieg zum Gipfel. Aus DDR-typischen Platten ist hier eine Straße zum „Schutz der Grenze“ gebaut worden. Es geht steil bergan, bis wir am ehemaligen Goethe-Bahnhof (!) auf die Gleise der Brockenbahn treffen. Wer will und/oder nicht so gut zu Fuß ist, kann sich von einer echten Dampflok auf den Gipfel fahren lassen. Wir haben verzichtet, uns aber gefreut, dass der Weg jetzt erstmal parallel zu den Schienen verläuft und deshalb gar nicht mehr steil ist.

Zumindest bis wir die Brockenstraße erreichen. Von da an ging es durch die hübsch benannte Knochenbrecherkurve steil rauf zum Gipfel. Je höher wir kamen, umso kälter wurde es. Und nebliger. Und vor allem windiger. Der Brocken gilt als der windigste Ort Deutschlands, das Klima ist – laut Reiseführer – mit dem in Island und Sibirien vergleichbar. Jahresdurchschnittstemperatur: -2,7°. So kalt war es nicht und der Wind hielt sich auch in Grenzen. Trotzdem sind wir erstmal im „ganzjährig geöffneten SB-Restaurant“ eingekehrt.

Ein furchtbarer Laden. Aber es war trocken, warm und die Erbsensuppe war durchaus essbar. Ziemlich furchtbar war dann auch der Blick aus dem Fenster: Es hatte zu regnen begonnen. Nebelschwaden wurden vom Wind an uns vorbeigetragen, nicht unbedingt Wohlfühlklima. Und – logisch – an Aussicht war ebenfalls nicht zu denken. Wir haben schnell ein paar Souvenirs erstanden und unterm Regenschirm das obligatorische Gipfel-Selfie geschossen. Dann ging es im Regen an den Abstieg.

Zum Glück hatten wir Rückenwind, so dass uns der Regen zumindest nicht frontal ins Gesicht flog. Trotzdem war das nur so mittelschön, mehrere Kilometer auf der asphaltierten Brockenstraße bergab zu latschen. Wind oder Regenschutz in Form von Bäumen: Fehlanzeige. So waren wir fast schon froh, als es zwar weiter regnete, unser Weg aber in den Wald abbog. Je mehr Regen, umso weniger Fotos gibt es übrigens. Wir haben es zwar mittlerweile ganz gut raus von unterm Regenschirm zu fotografieren. Es ist aber eine ziemlich umständliche Prozedur, den Rucksack unterm Schirm von der Regenhülle zu befreien, die Kamera rauszuholen und dann alles wieder zu verstauen. Drückt mal die Daumen, dass das Wetter besser wird!

Unser heutiges Tagesziel ist die Pension Schmidt in Schierke. Das liegt nicht direkt am Hexenstieg, wir müssen über den „Pfarrstieg“ absteigen. Nass und mit 16 Kilometern in den Knochen war das kein so großes Vergnügen. Der Weg hatte höchstens entfernt Ähnlichkeit mit einem Wanderweg und bestand im wesentlichen aus rutschigen Felsen und Pfützen. Meine persönliche Vermutung ist, dass das Ding als Buß-Weg angelegt wurde. „Bete drei Vater Unser und laufe den Pfarrstieg einmal hinauf und hinab“ könnte es in der Beichte in der Schierker Bergkirche geheißen haben.

Nach einer gefühlten Ewigkeiten (angeblich waren es nur zwei Kilometer) sind wir dann in Schierke angekommen und mussten erstmal schauen, wo denn jetzt diese Pension ist. Auch das haben wir aber geschafft. Und es hatte sogar noch ein Lokal geöffnet, beim „Holzfäller“ hatten wir unser wohlverdientes Bier und ein deftiges Abendessen. Morgen geht es weiter durch den Harz, in einen Ort mit dem schönen Namen „Rübeland“.

Ein Gedanke zu “Über den Brocken

  1. Den Kolonnenweg gibt es immer noch?
    Kurz nach der „Wende“ hatten wir in Neustadt Urlaub gemacht und sind von Torfhaus zum Brocken gelaufen. Da gab es wenigstens schon eine Lücke im Zaun … und den Kolonnenweg. Wenigstens scheint jetzt der Zaun komplett weg zu sein.
    Ihr habt aber wirklich ein Pech mit dem Wetter! Brocken ohne Aussicht geht eigentlich nicht. Da müsst ihr irgendwann noch mal hin!
    Wir drücken ganz fest die Daumen, dass ihr auch mal trocken weiterkommt.

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